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„Mit einer neuen Sprache wird der Wirklicheit immer dort begegnet, wo ein moralischer, erkenntnishafter Ruck geschieht, und nicht, wo man versucht, die Sprache an sich neu zu machen, als könne die Sprache selber die Erkenntnis  eintreiben und die Erfahrung kundtun, die man nie gehabt hat.“

(Ingeborg Bachmann, 1. Frankfurter Vorlesung)

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un_Erkannt (1)

Oh bitte erkenne nicht meine Schwächen…

Sieh nur nicht zu genau hin, denn dann wirst du sehen, wie mein Lächeln doch eher einer Grimasse gleicht. Wie ich lauthals lache, um nicht zu weinen unter deinem Blick. Wie ich stolz die Brust herausstrecke, damit du nicht ahnst, dass ich doch lieber zusammengekauert in der Ecke verweilen möchte. Wie ich renne, dass du das Hinken meines Ganges nicht bemerken kannst. Wie ich handle, wie ich stets dem Aktionismus verfallen, stets auf der Suche nach Neuem bin, damit du nicht merkst – damit niemand merkt – wie ich vor Angst fast erstarre, wie sehr mein Sein verklebt, mein Geist verdunkelt ist…

Wie ich hoffe auf Hoffnung. Wie ich mich sehne nach Sehnsucht. Wie ich vermisse das Vermissen.

Oh bitte erkenne nie meine Schwächen, sonst bin ich gezwungen diese selbst zu erkennen.

„Was soll das bedeuten?“, unterbrach ihre zittrige Stimme des Autors Reverie.

„Hm? … Sprach ich laut? Schon wieder laut?“

Des Autors Muse nickt diesem bloß hilflos zu.

„Das…“, so lächelt er sie herausfordernd an, „… ist der Beginn meines neuen Werkes.“

Sie schweigt ihm entgegen.

Der Autor ergreift, sich nun seinerseits hilflos fühlend, ihre linke Hand. Er spürt wie diese eiskalt ist und nur schlaff in der seinen liegt.

Minuten vergehen bis sich die Finger der Muse endlich mit den seinen verschränken. Bis die Kälte verfliegt. Bis sie, seine einzige Liebe, seine Geliebte, seine Muse, ihm letztlich fest in die Augen blickt mit so etwas wie Zuversicht, mit schon fast einem Lächeln.

„Nun gut. Wenn dem so ist. Dann auf zu einem neuen Werk.“, durchbricht sie die Stille, das Schweigen, die Anspannung, „Ein Auftragswerk? Nein. Ein Bedürfnis. Ich sehe es genau… Doch wo ist der Szenenaufbau? Die Regieanweisung, die all deinen Werken innewohnt? … Es muss doch schließlich erkannt werden, dass es Gemacht ist, dass es Fiktion ist im aristotelischen Sinne und dass die Art des Schreibens, des gesamten Textaufbaus auf sich selbst aufmerksam macht, ja machen will – ganz so, wie es heißt, dass man dadurch Literatur, dass man Kunst als solche erkennt…“

„Ich habe dich vermisst.“, entweicht es beinahe unhörbar des Autors spröden Lippen.

Und nun wieder Stille. Schwer. Durchsetzt von all dem Unausgesprochenen. Doch zugleich aufgeladen. Zum Bersten gespannt. Sich selbst im Klaren, dass jeden Moment etwas geschieht.

Zwischen den Szenen. Vor einem überladenen Schreibtisch unter fahlem Licht

Ein Mann mittleren Alters – ein Autor – die zu dünnen Finger verzahnt mit denen seiner Muse, führt diese schweigend zu einem schweren Tisch aus Metall. Einst war dieser aus Holz, doch die Zeit und sein Leben ließen ihn verhärten, erkalten, sich seiner Umgebung anpassen und beinahe die Gesamtheit des Raumes einnehmen.

Dieser Tisch – Sinnbild seines Seins, Platz seiner Arbeit, Fixpunkt seines Tuns – ist inzwischen verstaubt, ja fast klebrig, ist vergraben unter Notizen, unter Essensresten, unter halbgeleerten Gläsern, unter all seiner Verunsicherung.

Zu laut schweigend steht das Paar also da. Vor diesem exorbitanten Tisch mit all seinen übergroßen Erwartungen und überhäuft mit einer Überlast von Möglichkeiten, beinahe übermannt durch eine grellbunte Klarheit vom was sein sollte… könnte… wird.
Und mit einem Gefühl der Sicherheit, an die er selbst kaum mehr geglaubt hatte, lockert der Autor letztlich seinen zu festen Griff um die zarten Finger seiner Muse, seiner Geliebten, seiner Liebe.

Er will sie nicht zwingen bei ihm zu stehen. Denn er wünscht sich, dass sie ihm ungefragt beisteht.

Lange Sekunden und absichtlich tiefe Atemzüge ziehen vorüber und legen sich mit dem Staub über die Kälte des Schreibtischs… bis endlich die Finger seiner Liebe, seiner Geliebten, seiner Muse die seinen fest – nicht zu fest – umklammern.

Nur schwach, jedoch nicht zu schwach, beleuchtet vom Licht des angebrochenen Tages, das den Weg durch ungeputzte Scheiben kaum findet, stellen die beiden – die Muse, der Autor… die Stimme, der Stift – sich schließlich Hand in Hand das Chaos zu ordnen.

Fortsetzung folgt

 

Logo Katze Mathilde GläserDies ist als Fortsetzung von „im Entsehen begriffen“ und „im Selbst_Gespräch“ geplant.

verloren auf dem Weg _Kap.4_

Katze4zum Anfang zurück und zur kompletten Geschichte

Artikel 4

Lasst uns Erinnern an die gemeinsame Zeit.”

Am Ende eines jeden Jahres erinnern wir uns oft und gerne an all die Dinge, welche wir erreichen konnten, an Zeiten, die Neues brachten und uns Abschied nehmen lies vom Alten und natürlich auch an all die Situationen, die zu meistern uns auch weiterhin beschäftigen wird und muss.

Ohne Frage sollte ebenso den Menschen, welche unser Leben bereichert haben und hoffentlich auch künftig werden, Erinnerung gebühren.

Ob diese uns bereits ein Leben lang begleiten oder auch nur ein Stück des Weges, ob es die Familie ist, alte Vertraute, neue Freunde oder prägende Fremde, jede Begegnung kann auf uns Einfluss nehmen. Denn andere Menschen können und werden den Lauf unser aller Lebensgeschichten formen.

Und wir somit auch den Ihrigen!

So sollte sich ein Jeder der Menschen erinnern, welche den eigenen Lebensweg zäunen und wir als Gemeinschaft dürfen auch den Einzelnen nicht vergessen.

9

Es hatte aufgehört zu Regnen und wie um das Unglück derer zu unterstreichen, welche in den plötzlichen Regenguss geraten waren, erstrahlte der Himmel nun erneut unschuldig im schönsten Sonnenschein.

Ein paar Kurgäste trollten sich tropfnass, aber lachend zurück in die Klinik und begrüßten die herausströmenden Mitpatienten, während das Klinikpersonal gutgemeint kopfschüttelnd Handtücher verteilte. Lediglich die kleine schwarz-weiße Katze schien unbeeindruckt vom ganzen Spektakel und begann sich zitternd trocken zu lecken.

Charlotte wurde den Eindruck nicht los, dass der finstere Blick des sonst so possierlichen Kätzchens bedeutete, dass das Tier die Sinnhaftigkeit von Regenwetter schwer infrage stellte. Auch schien sie vom ihr angebotenen Handtuch nur wenig zu halten und wehrte sich merklich gegen den Versuch sie beim abtrocknen zu unterstützen, was Charlotte sehr amüsierte, nicht nur, da die Katze nach gewonnenem Kampf lediglich zwei Meter weiter wieder Platznahm, um, wie über die Störung empört, mit dem Rücken zum handtuchschwingenden Pfleger ihre Morgentoilette fortzusetzen, sondern auch wegen des vom Gefecht gezeichneten Pflegers, welcher nicht minder entrüstet wirkte.

Der Anblick Marias, welche mit eingefallenen Zügen über ihrem aschfahlen Gesicht an Charlotte vorbei zog, diese ansehend offenbar ohne sie wahrzunehmen, ließ Charlotte kurz innehalten. Keine Spur mehr von der Schamesröte und dem verhaltende Lächeln, welches Charlotte noch am vorigen Tag zu einem breiten Grinsen veranlasst hatten, als sie den beinahe lächerlich wirkenden Versuch auf subtile Weise zu flirten, zwischen Maria und Jack aus der Ferne beiwohnen durfte.

Irgendwie süß war sie ja, wenn auch offensichtlich mehr als unsicher in ihrem Auftreten; Irgendetwas verunsicherte Maria Walder augenscheinlich und das nicht erst seit heute. Dass sie unerfahren und aufgeregt war, konnte diese schon während der famose Begegnung im Stadtpark kaum verbergen, doch Charlotte hatte da zumindest den Eindruck gewonnen, Maria wäre selbstsicher in ihrem Auftreten, wenn schon nicht aufgrund von Selbstvertrauen, aber doch wenigstens aus antrainierter Gewohnheit. Nun wirkte sie selbst aus der Entfernung verhuscht, ja beinahe ängstlich.

Bevor Charlotte ihre Analyse fortsetzen konnte, bekam sie Gesellschaft auf ihrer Bank und wurde vom Gesprächswall einer Mitpatienten förmlich überrollt. Diese plapperte so aufgeregt auf Charlotte ein, dass diese ihr nicht hätte folgen können, selbst wenn sie willens dazu gewesen wäre. Und so blendete sie diese aus; nickte freundlich zustimmend und wartete die Zeit ab, bis sie endlich erneut allein war und ihre Aufmerksamkeit wieder auf Maria lenken konnte, welche sich in der Zwischenzeit der kleinen Katze zugewandt hatte.

Wie, um dem leicht lädiertem Pfleger noch eins auszuwischen, ließ sich das Kätzchen von Marias Hand das Abtrocknen sehr wohl gefallen; ja schmiegte sich an sie, was zumindest etwas Farbe auf Marias Wangen zurück zu bringen schien. „Muss doch nen Therapietier sein.”, mutmaßte Charlotte zufrieden in sich hinein, bevor sie erneut in ein Gespräch verwickelte wurde.

Gerade wollte sie sich höflich, aber bestimmt entschuldigen, da winkte ihr Maria Freude strahlend zu, zeigte danach neben sich und zog, in eine animierte Unterhaltung versunken, weiter.

Charlotte spürte wieder mehr als dass sie sah, dass Dr. Hinterseers strenger Blick auf ihr ruhte. Sie spürte das gleiche Gefühl der Beklemmung ihren Rücken emporkriechen, wie das bereits am Tag zuvor unter seiner Beobachtung durch ihr Zimmerfenster geschehen war. Sich selbst zur Ruhe zwingend, warf sie einen direkten Blick auf den Doktor; sie wollte ihm stark in die Augen sehen. Zu ihrer Enttäuschung, aber auch Erleichterung, hatte dieser seiner Aufmerksamkeit mittlerweile auf Maria gelenkt, welche noch immer zutiefst in einer Unterhaltung versunken am Rande des Klinikgartens stand.

Scheinbar verdrossen darüber, sowohl Marias Beachtung als auch streichelnde Hand verloren zu haben, zog die kleine Katze schließlich mit hängendem Kopf an Charlotte in Richtung Stadt vorbei und ließ diese mit ihrer nach wie vor monologisierenden Banknachbarin allein zurück.

Stets von Bestand”

10

Dass Fell war noch immer nicht ganz trocken, da sah sich die kleine Katze in Gefahr in einen weiteren Regenguss zu geraten, als sie den Marktplatz betrat. Als wären ihr die dunklen Wolken gefolgt, thronten diese nun über Eatrichs Stadtmitte und wirkten sicher nicht nur auf das Kätzchen bedrohlich, da dass Gelände vor dem Rathaus mit einem Mal beinahe düster, ja gespenstig geworden war.

Ein plötzliches Bersten trieb das verschreckte Tier unter den Pavillon und inmitten von Schuhwerk, welches, in der Not auszuweichen, aufgeregt um sie herumwirbelte.

„Uh… pass doch auf!”, klapperte es neben ihr.

„Nein, kann Jemand bitte was unternehmen?”, quietschte es von vorn.

„Moment.”, dröhnte es von der anderen Seite, bevor warme Hände sie hochhoben, auf einen weichen Stuhle beförderten und ihr etwas grob über den Kopf streichelten.

„Hab sie heute morgen beim Bäcker gesehen! Keinen Blick hat sie mir gegönnt… arme Frau”, sprach die warme Hand, bevor sie endlich von ihr abließ.

„Ja, aber nutzt ja nichts.”, brummte es an ihr vorbei.

„Er hat sich ja schon verdächtig gemacht.”, raunten die groben Hände erneut.

„Warum hat er auch die Aussage verweigert?!”, stimmten verschiedenen Seiten mit ein.

Das aufgekommene Stimmengewirr unterbrach sich harsch, um den Blick in gemeinsamer Schweigsamkeit auf das Paar zu richten, welches ebenfalls in Schweigen gehüllt den Marktplatz überquerte, um Eatrich nach Norden raus zu verlassen.

„Also früher wäre sowas nicht passiert!”, schoben sich nun ohne Vorwarnung feuchte Finger durchs Fell; gebrauchten es als Handtuch. Um diesem Missbrauch zu entgehen, sprang das schwarz-weiße Kätzchen zur Tafel hinauf und lief unter Gekreische über halbfertige Tischdekorationen, Krepp-Papier und Girlanden aus dem Pavillon hinaus, dem Pärchen hinterher und zurück in die Richtung, aus der es gekommen war.

***

Bernhard hätte wissen müssen, dass Emily und er nicht ohne Aufhebens über den Markt kommen würden. Die Kleidung, unter der sie sich zu verstecken suchten, zog vermutlich sogar mehr Aufmerksamkeit auf sie, als dass sie ihnen Schutz vor den widrigen Wetterbedingen bot.

Aber es nutzte nichts.

Seine Freundin hatte ihm das Versprechen abgenommen, um Hilfe zu bitten und eine Therapie zumindest in Betracht zu ziehen. Dass es die neue Klinik gab, kam ihm gerade recht. Denn keiner der Ärzte, Therapeuten und Pfleger gehörten zur ursprünglichen Nachbarschaft Eatrichs und so versprach er sich zumindest ein gewisses Maß an Anonymität; wenigstens innerhalb des Klinikgeländes.

Also hatten sie sich gemeinsam aufgemacht.

Sie steckten beide in Kleidung, in der sie fast verschwanden, da die vergangenen Jahre – ihre Krankheit, sein Lebenswandel – bei Weitem nicht spurlos an ihnen vorüber gezogen waren. Bestimmt hatte ihr der schwere, dunkelgrüne Mantel nebst passendem Hut einst wunderbar gestanden und auch ihm fehlten ein paar gesunde Kilo, um die früher sehr geschätzte, schwarze Lederjacke auszufüllen.

Bernhard wäre sich schäbig vorgekommen, hätte Emily ihm nicht mit ihren strahlenden Augen und dem leicht verschmitzten Lächeln, was es so mochte, den Schal umgebunden und ihm anschließend einen Kuss verpasst; auch wenn bloß auf die Wange.

Im Wechsel behaftet”

11

Papierdünne Haut. Aufgelöst. Nur harte Augen. Immer auf mich… auf mich gerichtet. Ein Strudel aus Nichts. Aus Kälte. Aus Hitze. Aus Allem. Ich verstehe es nicht!

***

Charlotte war schon wieder leichenblass, Maria machte sich Sorgen.

Ob diese Einrichtung überhaupt dafür geeignet war, Menschen wie Charlotte wirklich helfen zu können? Sie würde Dr. Embrich darauf ansprechen.

Doch zuerst wollte Maria ihr ihre neue Bekannte vorstellen. Bestimmt würden sie sich mögen. Und bedanken musste sie sich bei Charlotte auch noch, denn nur ihrem Ratsschlag hatte Maria es zu verdanken, dass diese sich inzwischen in jeder freien Minute dieses Tages wunderbar unterhalten fühlte und auch hatte.

„Ach verdammt! Was ist das?” Ein unangenehmes Kribbeln lenkte Maria ab. Bestimmt wieder so ein Krabbeltier; den ganzen Tag war sie schon verfolgt wurden. „Das muss am Wetter liegen.” Mit zusammengekniffenen Lippen entfernte sie den kleinen schwarzen Käfer von ihrer Armbeuge und lief weiter auf ihr Gegenüber zu.

„Charlotte! Ich will dir… Was hast du?”

Traurige Augen blickte ihr entgegen und ein Gefühl der Verunsicherung machte sich in Maria breit. Hatte sie was falsch gemacht? Ach, bestimmt kannte Charlotte ihre neue Bekanntschaft schon. So viele Patienten waren es ja auch noch nicht. Aber nein. Warum sollte sie deshalb betrübt sein? War zwischen ihnen was vorgefallen?

***

Zähe Tropfen, glühend durchbohren meine Haut. In Brandblasen geschlagene Eiszapfen regnen auf mich danieder. Und immer nur diese Augen über mir.

***

„Es tut mir leid.” Charlotte hatte einen fast schon zu sanften Tonfall und sie war nun beinahe grau im Gesicht, die Lippen aufgerissen und blutig gekaut. Aus Angst sie könnte erneut zusammenbrechen, wandte sich Maria hilfesuchend an ihre neue Bekannte und bedeutete ihr Dr. Hinterseer zu holen, welcher gerade eben in den Garten getreten war, um ein paar Leuten das Gelände zu zeigen.

„Hilfe ist schon unterwegs!” Maria griff nach Charlottes rechter Schulter, um sie zu stützen, doch schreckte zurück, als sie bemerkte, das wieder so ein schwarzer Käfer in ihrer Armbeuge hockte.

***

Keine Atmen mit durchstoßener Lunge… knochige Finger umgreifen mich.

***

Dr. Hinterseer hatte sich mit samt seiner beiden Begleiter zu ihnen gesellt.

Zu seiner Linke eine Dame mittleren Alters, deren Haar unter einer Mütze versteckt und deren Körper durch einen weiten Mantel verhüllt war. Zu seiner Rechten ein Mann, der sich, wie um sich zu verbergen, ebenfalls tief in eine übergroße Jacke hüllte. Ein hellgrauer Schal verdeckte halb sein Gesicht, doch zog gleichzeitig den Blick auf das selbige und Maria sah genug, um den Herrn wieder zu erkennen.

„Oh, mein… Sie sind der Mann von dem Bild! Das ist ja verrückt. Siehst du, genau so habe ich ihn beschrieben.”, wandte Maria sich zu ihrer Bekannten um, die nun nirgendwo mehr zu sehen war.

„Wo ist sie hin? Haben Sie sie verschreckt? Sie ist empfindlich! Was haben Sie zu ihr gesagt?”, verlangte sie mit nun, mit für ihre Ohren, beinahe schrill klingender Stimme.

Sechs Paar Augen sahen sie verwundert an, nur Charlotte blickte wissend, wenn auch betreten.

„Sie ist nicht real.” Schon wieder dieser sanfte Tonfall.

„Maria, es tut mir leid, aber deine Freundin existiert nicht; zumindest nicht für die Augen aller Anderen.” Charlotte wollte nach ihr greifen, doch Maria stieß sie von sich.

„Was redest du da?! Du hast sie doch gesehen, als sie mit der Katze gespielt hat! Du hast mir erklärt, wie ich mich ihr am besten nähern kann! Du…“

Dr. Hinterseer war inzwischen an Maria herangetreten, seine Haltung offen, sein Blick ruhig.

„Charlotte muss sich irren, bestimmt verwechselt sie was, wo sie doch krank ist. Schauen Sie sie an, ganz sicher ist sie es, die sich Sachen einbildet. Erklären Sie es ihr Doktor!”, flehte Maria mit leiser, zittriger Stimme, während sie versuchte erneut einen schwarzen Käfer aus der Armbeuge zu wischen.

„Es tut mir leid Frau Walder. Alles wird gut. Bitte kommen Sie mit und es wird sich klären.” Dr. Hinterseer reichte Maria seine Hand, welche diese, nun sprachlos, ergriff. Nach einem kurzen Nicken griff er auch nach Charlottes Arm.

„Charlotte bitte begleite meine Gäste hinaus und geh nicht zu weit; wir müssen noch reden!”

„Hatte mich schon gewundert, wann du dich mir endlich persönlich entgegenstellst, Vater.”, stieß Charlotte hervor und die Hände des Doktors davon.

Maria wurde schwarz vor Augen.

***

Und ich liege hier nun wieder… am Boden, im Nassen…. verdorre ertrinkend… beobachtet… allein… hilflos… nutzlos… und bitte nur immer um Verzeihung.

Mit Sonnenschein im Herzen”

12

Der Stuhl auf dem Charlotte saß, war kaum härter als der Blick, unter welchem sie versuchte standhaft zu bleiben.

„Was hast du dir nur dabei gedacht?”, brummte ihr Gegenüber und setze ohne auf eine Antwort zu warten nach: „Hast du überhaupt gedacht, verdammt?” Sie hatte Maria nur helfen wollen, „dafür brauchte ich aber erstmal ihr Vertrauen! Sonst hätte sie mir, einer Patientin, doch nie geglaubt, dass sie ernste Probleme hat!”

Während Marias Aussetzer im Park war Charlotte schnell klar geworden, dass diese unter starken Wahrnehmungsstörungen litt, aber auch dass sie sich derer nicht bewusst war. „Es war ein kalkuliertes Risiko!”, beteuerte Charlotte dem Rücken ihres Vaters, da dieser sich inzwischen kopfschüttelnd abgewandt hatte.

„An deine Risikoweinschätzung erinnere ich mich nur zu gut; glaub mir. Du hättest mich gleich aufsuchen müssen… Was wolltest du beweisen? Hast du denn nichts dazu gelernt oder ist es dir egal?”

Charlotte wollte diese Fragen nicht beantworten, denn ihr war klar, dass nichts, was sie jetzt noch sagen könnte, verhindern würde, dass nicht nur Maria, sondern auch sie selbst auf unbestimmte Zeit nicht mehr aus der Klinik herauskäme.

„Was wird jetzt aus Maria?”, fragte sie schließlich zögernd.

„Frau Walder muss sich jetzt erst einmal erholen. Ich habe eine frühere Kollegin von mir angefordert, welche beurteilen kann, welche Umstände zu ihrem Zusammenbruch geführt haben und ob möglicherweise eine andere Grunderkrankung der Wahrnehmungsstörungen vorausgeht. Sie wird ihr hoffentlich auch dabei helfen können einen guten Weg für sich zu finden und auch mögliche Zukunftsaussichten zu planen. Selbst wenn sich herausstellt, dass eine schizophrene Störung vorliegt, lässt sich diese heutzutage gut behandeln. “

„Ich möchte sie besuchen…“, unterbrach Charlotte ihren Vater, welcher sich ihr mit vor Überraschung erhobenen Brauen wieder zugewandt hatte, „… Ich mag sie!“

„Wenn Frau Walder es wünscht. Sie kann eine echte Freundin jetzt mehr als gebrauchen“ Die Emphase lag auf dem Wort „echte“, was der zustimmend nickenden Charlotte nicht entgangen war. Mit einem Blick, der sie fast zu durchbohren drohte, fuhr er fort:

„Egal, was Frau Walder auch erwarten wird, ein geregelter Ablauf und Unterstützung sind ab jetzt für sie das Wichtigste. Sie muss lernen, dass sich das Unkontrollierbare nun mal nicht kontrollieren lässt und darf weder sich noch andere dafür nicht bestrafen.

Das gleiche gilt auch für dich!”

***

Die kleine schwarze-weiße Katze, welche sich auf einer Fensterbank bis eben gesonnt hatte und von lauten Stimmen aufgeschreckt wurden war, zog sich, nach einer kleinen Abschiedsrunde durch den Privatgarten des Haus Instenburgs, in Richtung Stadt zurück.

Eatrich war mittlerweile vollständig raus-geputzt für das anstehende Stadtfest und erstrahlte so nicht nur im Glanz der Sonne, die nun endlich ungestört am wolkenlosen Himmel ruhte.

Der Regen des Vortages schien vergessen und so hatte man auch den Pavillon wieder abgebaut. Es waren nur kleinere Pfützen geblieben, die das Kätzchen über die gestellten Tische und Tafeln zu umwandern wusste, während es über den, mit Ballons und herbstlichen Gestecken, geschmückten Marktplatz lief.

Wie üblich trieb es sie in den Ostteil der Stadt, vorbei an Einfamilienhäusern, dem Spielplatz, durch die Mehrfamiliensiedlung bis hin zur Residenz zur Ruhe, wo bereits die neueste Ausgabe der Tagespresse auslag.

Der Leitartikel preiste das Fest zur Ehrung Eatrichs im „Gartenfreund-Wettbewerb“ des Landkreises an. Denn „nicht nur wurden die prämierten Kürbisse, Zucchini und Marmeladensorten lobend in den Nachbargemeinden erwähnt, unser heißgeliebter Cidre erreichte sogar den dritten Platz!” Selbst der Bürgermeister würde für das Sonderstadtfest extra aus dem Urlaub zurückkehren, hieß es weiterhin.

In einem kleinen Artikel wurde über das voreilige Fällen von Urteilen gewarnt, schließlich „könnte es jeden treffen und Langzeitschäden dürften nie unterschätzt werden.” Die letzten Zeilen richteten sich an Bernhard Wagner, dem somit eine öffentliche Entschuldigung „für mögliche Umstände” ausgesprochen wurde sowie viel Erfolg weiterhin und einen guten Start im zukünftigen neuen Zuhause. „Eatrichs Nachbarschaft wird dich vermissen!”

Die Ankündigung über einen Eigentümerwechsel im Teehaus schloss sich daran an und im Anzeigenteil suchte das Haus Instenburg nach neuen Mitarbeitern für die internistische Abteilung.

Die abschließenden Seiten widmeten sich den „neuesten Abenteuern der Rühlich-Knaben”, welche von ihrem „Spontanbesuch in der großen Stadt” bei deren Vater berichteten.

Aber all das interessierte die kleine schwarz-weiße Katze nur insofern, dass sich die Zeitung wunderbar zum Schärfen ihrer Krallen eignete.

„Tilli!”, der streng klingende Ausruf ihres Namens ließ das Kätzchen innehalten.

„Na wenigstens du hast einen Nutzen für das sinnfreie Wurschtblatt gefunden.” Der Tonfall war nun deutlich entspannter und untermalt vom amüsierten Zwinkern Rubys, als diese sie auf ihren Schoß beförderte und zu streicheln begann.

Nach einem deutlichen, wenn auch nicht minder belustigten, Räuspern von Elke setzte Ruby gespielt ernst nach: „Sinnfrei mit Ausnahme der gestrigen Ausgabe natürlich.”

„Natürlich!”, unterstrich Elke, während sie für die beiden Frauen Tee aufgoss.

Epilog

Strahlend, ja fast schon blendend, ergoss sich das Sonnenlicht über die gepflegten Straßen Eatrichs; nichts erinnerte mehr an die Verschlafenheit der nebelverhangenen und verregneten letzten paar Tage.

Das groß angekündigte Stadtfest schien bereits im vollen Gange, da Musik, Gelächter und der schwere Duft von Backwaren in der Luft lagen und Charlotte, welche von ihrem Vater begleitet den Marktplatz betrat, begrüßten.

Geschäftiges Treiben, knallbunte Dekoration, kostümierte Menschen; seliges Miteinander.

„Mein Gott, diese Stadt wirkt wie aus einem Roman entsprungen!”, brummte ihr Vater in sich hinein.

„Ja.”, legte Charlotte nach, „Stellt sich nur noch die Frage, in welches Genre einordnen?”

Der kurze Moment der Einigkeit wurde harsch unterbrochen als zwei Jungen auf sie zu stürzten und versuchten Charlotte in ihre Arme zu schließen. „Na ihr Beiden. Hat sich euer Vater über den Besuch gefreut?” Klebrige Finger hielten sich an ihrem Rock, Kinderköpfe nickten ihr aufgeregt zu, durch ihr breites Grinsen lugten Zahnlücken… bis schließlich zwei Hände und ein strenger Blick die Knaben bestimmend davonzog.

Ja, der Augenblick der Einigkeit und Zustimmung ihres Vaters war verflogen und nur noch Dr. Hinterseer, mit seinen allwissenden Gesichtszügen stierte sie kopfschüttelnd an. „Ich war ihnen am Bahnhof begegnet. Konnte ich ahnen, dass sich die Jungs direkt in den nächsten Zug setzen?”, fragte Charlotte niemand bestimmten, denn ihr Vater war schon in der Menge verschwunden.

Die wachsamen Kameraaugen des Marktplatzes und bedeutenden Blicke der unablässig freundlich lächelnden Nachbarn sahen auf Charlotte herab, als diese, wissend, dass die Zeit der unbeaufsichtigten Wanderungen nun vorbei war, ihre Lippen zusammenbiss, um sich nun ebenfalls unter den Menschen zu verlieren; in der Menge aufzulösen, wie einst im Nebel.

Ende

willkommen in Eatrich4_1706_kr

Katze4

Alles und ein Ende

Ein Stück über die Liebe, denn das wäre jetzt angesagt, sagte man.

Ein Stück in fünf Akten, denn die Zahl gefiel ihm.

Ein Stück, von dem sich die Geliebte mehr erhofft hat als der Autor.

Ein Stück, über dessen Inszinierbarkeit man sicher streiten könnte.

 

Ein „Stück“, was in Auszügen bereits veröffentlicht wurde und dass nun endlich in Gänze vorliegt.

„im Entstehen begriffen“

 

 

 

 

 

 

 

 

Szene unter Sternenhimmeln

Und so begann es!

Beinahe täglich suchte er sie auf. Nicht mit Blumen oder Schokolade, sondern dem Geschenk des Schweigens.

Sie trafen sich sobald das gesellige Treiben auf den Wegen abnahm, zeigten sich gegenseitig die Welt beim Aufsuchen der liebsten oder verhasstesten Orte, beim Wandern durch Wälder über weite Ebenen, enge Gassen, zu stark beleuchteten Straßen und Feldwegen im Licht des Mondes… und fast immer schwiegen sie.

Es herrschte eine Stille, die von Frieden und Einigkeit sprach, ohne Worte ganze Gespräche auszufüllen fähig war, eine Leichtigkeit mitbrachte in ihrer Schwere… er, der immer ein Mann der vielen Worte gewesen war, genoss dieses befremdliche Gefühl, diese Einzigartigkeit ihrer Kommunikation; so voller Verstehen, Verständnis und ohne Chance für Ausflüchte.

Denn die Fähigkeit sich in großen Worten zu äußern, in der Lage zu sein farbenfroh recht wenig Inhalt in sehr viel Text zu packen, auch auf ungestellte Fragen eine Antwort zu finden oder Probleme zu schaffen durch eine übersteuerte Komplexität, ist nicht gleichzusetzen mit Wahrhaftigkeit. Worte besitzen eine ganz eigene Macht, sie lehren, heilen, beschwichtigen, verbinden, trennen, traumatisieren, verletzen, bremsen… Text kann die Welt bewegen, aber auch jedes Inhalts entbehren, er kann Zusammenhalt schaffen und missbraucht werden.

Eine Sprache zu haben, ganz gleich welcher Natur, sich mitteilen und ausdrücken zu können, ist etwas Vitales!

Jemanden zu finden, mit dem man schweigen kann, ohne das Gefühl der permanenten Notwenigkeit sich erklären… sich rechtfertigen zu müssen, ist etwas Kostbares.

Er glaubte sie zu kennen beim ersten Blick in ihre Augen, doch um sie wirklich zu verstehen, musste er lernen auf unbekannten Wegen zu wandeln, musste er seine Faszination in Etwas von Bestand  ummünzen, musste er Zutrauen und Vertrauen entwickeln, musste er herausfinden, ob ihm all Das überhaupt lag.

Katze4

Erster Akt. Die Begegnung. Szene unter Menschen

Ein Tag, nicht wie jeder andere und doch auch nichts Besonderes. Was war es? Ein Freitag? Nein, ein Donnerstag… wie immer zu viel zu tun und kaum Zeit sich über den Sinn oder Unsinn Gedanken zu machen.

Er war gelangweilt.

Die Woche voll beschäftigt, doch es wollte ihn einfach nicht interessieren; nicht genug, um ihn bei Laune zu halten, nicht annähernd genug, um ihn dazu zu bringen emotional beteiligt zu interagieren, noch weniger, um dergleichen zu investieren.

Stand er am Bahnhof oder im Foyer eines Kaufhauses, vielleicht im Wartebereich eines Arztes oder eines Kinosaals?

Wenn er lediglich die Menschen betrachtete, konnte er sich nicht sicher sein… zuerst eine angespannte Ruhe, dann Start gemurmelter Gespräche, später ein Rauschen von Stimmen… bis plötzlich etwas geschieht… eine Durchsage über Lautsprecher, das Aufrufen eines Namens, das sich anbahnende Öffnen von Saaltüren… ein allgemeines Luftanhalten, ein Lauschen in Erwartung, ein Augenbrauenhochziehen, ein Kopf zur Seiteneigen… ein kurzes Räuspern und die Welt dreht sich weiter wie gehabt.

Ein langes Schließen der Augen, kein Blinzeln, ein eindeutiges Dunkler-werden hinter Lidern bevor das Licht und die Kontraste wieder deutlich werden… Langeweile… obwohl weder am Bahnhof, im Kaufhaus, beim Arzt oder im Kino, aber unter Menschen. Nach dem diesmaligen Räuspern hatte eine Band angefangen zu spielen und mit ihr die Aufmerksamkeit Aller auf einmal entgegen der Bühne gerichtet.

Aller, bis auf seiner und ihrer.

Ihr Blick strahlte etwas Bekanntes und doch aufregend Fremdes aus, aus ihrer Haltung sprach seine Langeweile, eine verwandte Gleichgültigkeit, eine erzwungene Beteiligung… sie war mit den Bandmitgliedern befreundet, aber desinteressiert an deren Kunst… anwesend aus Teilhabe, aus Rücksicht auf Gefühle, aus Gründen, die tiefer gingen als alles, was er je verstand, je verstehen würde.

Der Wunsch der einzige Grund ihrer gerichteten Hingabe zu sein, ihre ungeteilte Beachtung zu finden, zu versinken in ihrer Hingabe, ihre volle Geistesgegenwärtig zu spüren, begann sich zu festigen… meißelte sich ein in seinen Verstand, vibrierte in seinen Fingern, pulsierte in seinem Blut… führte zu einer fast lächerlichen Synonymsuche.

Er war ihr begegnet, jetzt wollte er sie kennenlernen.

zur Entfaltung des Ganzen Katze4

 

Heute war ein guter Tag

„Heute war ein guter Tag, ich habe einen Satz geschrieben.“

Keinen blassen Dunst von wem dieser kluge, wenn auch nicht unbedingt aufbauende Satz ist. Natürlich könnte ich das nachschlagen; zumal es in der heutigen Zeit keine vertretbare Begründung, also Ausrede, dafür gibt, dies nicht zu tun. Nein heutzutage gilt es bei solchem Unwissen nur ehrlich zu sein und zu zugeben, es im Grunde gar nicht wissen zu wollen, sei es aus Faulheit oder Ignoranz; Faulheit in meinem Fall.

Schreibblockaden gehören natürlich zum kreativen Alltag dazu; schließlich kann einen die Muse nicht immer gleich gut küssen. Ab und an hat sie auch mal schlechten Atem oder beißt einem gar ein Stück Lippe ab. Die Muse scheint ein launisches Biest…

Die Muse ist verschwägert mit der Selbstreflektion, die einem ihrerseits nicht nur zuweilen brauchbare Charaktereinsichten liefert, sondern unter Umständen den gesamten Schreibprozess um ganze Abschnitte, ja sogar Kapitel zurückwirft, da man sich vor lauter Reflektiererei im selbstgebauten Spiegelkabinett verirrt und anstatt neuer Charaktere nur noch Vorwürfe und Verunsicherungen Blüten tragen; ja ganze Wälder entstehen. Buchenwälder, in welche kaum noch Lichteinflüsse und Wasser dringen können, sind sie erstmal dicht genug, so dass jedes neue Samenkorn schon vor dem Aufbrechen verdorren muss oder verpflichtet wird auszuharren bis es einst an einen geeigneteren Ort getragen wird.

Dunkle, kalte, beängstigende Wortschleifen-, Satzfetzen-, Sackgassenwälder…

Um die Familie noch zu vergrößern, gesellt sich nur zu gern auch Großvater „Gefahr des Plagiats“ hinzu oder um es mit den Worten der Literaturwissenschaft auszudrücken: Intertextualität. Schließlich ist es kein Ideenklau, wenn es Nachahmung ist, um einen geliebten Künstler zu ehren. Eine Hommage, eine Verbeugung, ein Kniefall, ein Sich-Davon-Schleichen um aus alten Gedanken neue Kunst zu schaffen… man sollte sich des Ursprungs seiner Einfälle lediglich bewusst bleiben.

Mit dem Drama des sich festgefahrenen Schaffens fließen natürlicherweise gute Ratschläge diesem zu entkommen zusammen und bilden so eine „an den eigenen Haaren aus dem Treibsand ziehen wollen“ Sachlage, deren Ausgang den geneigten Leser vor die schiere Unmöglichkeit der Interpretation des gegebenen Textes stellt… nicht immer wird es so deutlich wie in diesem kleinen Werk, dass man gemeinsam mit dem Künstler nur gegen Wände laufen oder sich im Buchenwald der Verdammnis wiederfinden kann!

Nun fehlt noch ein Ende. Was öfter als selten der Anfang vom Ende ist, also wenn das Ende klar ist, der Anfang schön geworden und der ganze Rest dazwischen hingt, womit wir wieder bei „Heute war ein guter Tag“ sind.

In der Stille

In der Küche sitzend auf ihrem Platz
Im Haus, welches gleich geblieben seit Zwanzig Jahren
Alles an Ort und Stelle
Blind könnte man hier agieren
Unverändert jedes Stück
Fest sind noch immer alle Zeiten

Frühstück 8uhr – die ganze Familie
Mittag 12.30uhr – die ganze Familie
Kaffeepause 15uhr – die ganze Familie
Abendbrot 18uhr – „wer nicht da ist, der nicht mitisst“

Wie fast immer isst er im Wohnzimmer
Wie so oft poltert der Andere noch durch die Stadt
Wie bisher noch nie, wird sie nicht mehr zu Tisch kommen

Der Fernseher dröhnt zu laut im Hintergrund
Der Kühlschrank gurgelt leise
Die Wanduhr geht Fünf Minuten vor
Im Schneidersitz belege ich ihren Platz
Umgeben von lächelnden Gesichtern hinter verstaubtem Glas

Die Realität hat mich nun endlich erreicht

Die Stille ist zu laut

(23.03.2017)

aus Jugendtagen

Die Jugend ist meist so allwissend, daß sie alles weiß, bis auf eines: daß auch einmal die Alten allwissend waren, bis sie wirklich alles wußten. (E. Hemingway)

Ohne Titel

ich du er sie es

wir ihr sie

immer dieselben

nirgends ein Wandel

ich unten du oben

wir am Ende

ihr seid Schuld oder nur sie

oder du oder ich oder wir

vielleicht auch keiner

(19.08.2004)

Wenn man das Schlechte weglässt, geht’s mir gut… von einem Leben in Floskeln

Meine Oma hatte für fast jede Lebenssituation eine passende Redensart… und so wurde ich auch geprägt durch ihre Teilhabe an meiner Erziehung und wuchs auf unter ihren wachsamen Augen, mit dem Reglement von Herrn von Knigge, stets gepaart mit einprägsamen Floskeln und dem Hinweis langsam und laut zu sprechen – nicht dass mir dies je gelungen wäre; ich sprach stets zu schnell und zu leise, später oft zu laut, aber immer noch zu schnell…

Zog ich nun eine Schnute, da mir was nicht passte, hieß es also „Da ist die Zuckerpuppe von der Bauchtanztruppe…“

Ein Streit unter Geschwistern wurde mit „Ein Bruder und ’ne Schwester, nichts schön’res auf der Welt…“ kommentiert.

Hatte ich mich verletzt, so war es „bis zur Hochzeit wieder gut“.

Wollte ich einer Sache mit Argumentation entgehen, wurde ich daran erinnert „warum der Teufel seine Großmutter erschlagen hat“.

Geriet man in Zeitnot so sollte man „nur keine Hektik nicht vermeiden“ und außerdem „fangen morgen wieder Hundert Tage an“.

War ich für bestimmte Dinge noch zu jung, so durfte ich zwar „alles essen, aber nicht alles wissen“.

Am Tisch sitzend, wurde stets darauf geachtet, dass man „den Löffel zum Mund und nicht den Mund zum Löffel führt“.

und so weiter und so fort…

Da wir in einer Welt der Redewendungen zu leben scheinen, sog ich diese natürlich nicht nur bei meiner Oma in mich auf.

Noch heute kann ich nicht anders handeln, als mit meinem Gegenüber mein Essen oder dergleichen zu teilen, denn die Schallplatte, die bei uns vermutlich auf Dauerschleife gelaufen sein muss, löste in mir fast schon einen pawlowschen Reflex aus, denn „teilen macht Spaß, wir teilen dies und das.“

Man kann sich natürlich streiten, wie viel Gewicht Floskeln in der eigenen Lebensführung einnehmen sollten und oft genug sind es sicher diese „formelhaften, leeren Redewendungen“, vor denen im Duden gewarnt wird. Doch wenn es darum geht, dass allgemeine Miteinander nach der Prämisse des „behandle andere so, wie auch du behandelt werden willst“ zu gestalten und sich auch durch schwieriger Zeiten nicht unterkriegen zu lassen, denn „am Ende wird alles gut und wenn es noch nicht gut ist, so ist es noch nicht zu ende.“ haben manche klugen Sprüche durchaus ihre Daseinsberechtigung.

Und wenn es nur darum geht unbequemen Fragen, wie die nach dem eigenen Wohlbefinden mit den Worten „wenn man das schlechte weglässt, geht’s mir gut“ zu umwandern, damit man sich auf die schönen Dinge konzentrieren kann, so wie Oma es letztendlich tat oder eben das Gespräch mit einer augenzwinkernden Aufforderung zur Tätigkeit zu beenden durch den Ausspruch „mach heute noch was, dann brauch ich es nicht zu tun.“

Eine Weisheit für jede passende und unpassende Gelegenheit liegt auch mir tagtäglich auf der Zunge und ich werfe ungefragt mit diesen um mich. Denn man sollte ruhig angesehenen Menschen mit ihren ebenso ansehenswerten Aussagen huldigen…

schließlich sagte schon Heine: „Weise erdenken neue Gedanken, und Narren verbreiten sie.“

 

vom Wandern, Warten und Davonlaufen

„Es gibt zwei Sorten von Ratten:/ Die hungrigen und die satten./ Die satten bleiben vergnügt zu Haus,/ Die hungrigen aber wandern aus.“ (H. Heine)

Für mich ist Wandern eine Form von Therapie… das stete Fortbewegen hat etwas Beruhigendes an sich; zumindest für mich.

Seit wann die Wanderung mehr als nur der bloße Wechsel der Position im weiten Raum, das Ergründen der näheren und weiteren Umgebung, das Betrachten – zuweilen sogar Bewundern – der Umwelt… der Welt um mich herum… bedeutet, kann ich nicht mehr sagen.

Die Frage nach dem wann stellt sich mir in diesem Zusammenhang auch nicht.

Was aber klar ist und besonders in letzter Zeit immer deutlicher wird… ich wandere, wenn ich warten muss.

Warten ohne Zutun, ohne Einfluss… ohne Ende.

Ein Gefühl von Abhängigkeit, Hilflosigkeit, Nutzlosigkeit… warten ist wie sich im Kreise drehen…

In diesem Zusammenhang stelle ich mir die Frage nach dem wann, dem seit wann und dem bis wann.

Zu oft weiß ich kaum mehr, worauf ich eigentlich warte… noch warte.

Doch in der ständigen Bewegung, dem Gefühl des Vorankommens, des Ankommens lässt sich die Warterei nicht nur ertragen, sondern ergründen… ich muss nur weit genug laufen und hoffen, nicht lediglich davon zu laufen.

ver-Abschied-en

Abschied ist etwas Unschönes; ganz gleich, wie alt man ist oder wie viel „Erfahrung“ man damit zu haben glaubt.

Erreicht man aber erstmal dieses Alter, welches nach den Kindheitstagen mit deren Unbeschwertheit und nach der Jugend samt ihrer Ruhelosigkeit folgt, merkt man (merke ich), dass Abschied, dass das Ende von Dingen, Erinnerungen, Menschen, Liebgewonnenen eine Notwendigkeit des Lebens darstellt und dass man den Abschied, das Verabschieden, das Abschiednehmen sogar verkraften lernt; mit der Zeit.

Das macht es kaum leichter, lediglich klarer!

Abschied kommt, wenn die Kraft fehlt, weiterhin festzuhalten.

Abschied bringt Veränderungen; das Entwinden verknüpfter Lebenswege.

Abschied tut weh!

Abschied sollte wehtun, sonst würde man sich selbst mit verlieren beim Abschiednehmen.

Am Abschied kann man wachsen.

Es tut trotzdem weh!

Wenn man lange genug lebt, erkennt man (versuche ich zu erkennen), dass Abschied auch etwas Befreiendes haben kann. Wenn nicht für einen selbst, so doch zuweilen für den sich Verabschiedenden. Denn manchmal muss man sich lösen, um weiterzugehen, um zu wachsen.

Und versteht man das, wächst man auch als Zurückgelassener.

Das Photo

Tage waren bereits vergangen seit ihrem Fortgang; ihrem Antritt des letztmöglichen Weges. Tage hatte ich mit warten verbracht.

Zu warten war keine neue Erfahrung, aber dieses spezielle Warten… wie bestellt und nicht abgeholt… Tage voller Beschäftigung und doch konnte ich mich nicht bewegen. Ein Stillstand, dem Warten gleich in dessen Unbekanntheit.

Stille in aller Unruhe… vollkommene Ruhe im geschäftigen Treiben um mich herum… und nur dieses Warten.

Das Auswählen der Kleidung ein Kampf. Was ist angebracht? Nie hatte ich ernsthaft darüber nachgedacht; immer gehofft es niemals zu müssen. Vermutlich war es schließlich zu viel des Guten; alles in schwarz bis herunter zur Wäsche… doch ich wusste nicht was tun.

Quälende Fragen nach den richtigen Worten. Welche sind angebracht? In den Tagen voll des Wartens hatte ich nicht daran gedacht, dass auch Worte wohl dazu gehören. Letztlich hüllte ich mich in Schweigen… ich schwieg und blieb scheinbar regungslos… ein Warten ohne zu wissen worauf,

bis ich das Photo sah, welches auf dem Sargdeckel thronte und mir mit einem verschmitzten Lächeln entgegenblickte.

Ich hatte dieses Bild vorher nie gesehen, es muss einige Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte alt gewesen sein… auf dem ersten Blick wirkte sie fast zu ernst; ein wenig verklärt sogar… maskenhaft… doch dann diesen feine Lächeln; der rechte Mundwinkel leicht erhoben… und mit einem Male konnte ich es auch in ihren Augen sehen, welche so unbekannt klar erschienen… so klar, fast prüfend und doch amüsiert; ganz wie ich sie in ferner Erinnerung hatte.

Erinnerungen lösten die Stille und das Warten ab… gefolgt von der Gewissheit, dass die Stille und das Warten nun meine Begleiter sein werden bis ich sie einst wiedertreffe…

Vom Be-Schreiben

Ich war früher nie ein großer Freund von Beschreibungen; weder im Text noch im Leben.

Zu genaue Beschreibungen im Text haben mich schnell abgelenkt und im Leben war ich selten dazu in der Lage diese abzuliefern. Für mich ist alles Gefühl und es fällt mir auch schwer dessen Ursprung mit, für alle anderen, verständlichen Worten auszukleiden.Gefühl ist Überwältigung, Sachinformation lässt sich mit Abstand betrachten; das fällt mir leicht.

Doch was ist nun die Wichtigkeit hinter detaillierten Ausführungen, wenn sie keinen reinen Selbstzweck haben sollen? Was macht sie so wichtig für das Verständnis von Texten und von Unterhaltungen?

Eine Frage, der ich mich mittlerweile gestellt habe oder vielmehr versuche zu stellen, denn sind wir mal ganz ehrlich: sie liegt mir nicht.

Die Welt als solches wird stets gefiltert durch unsere Erinnerungen, Erfahrungen, Erwartungen, unser Verstehen vom Großen Ganzen unseres kleinen eigenen Universums. Somit erscheinen die Dinge und Menschen, welche einem beschreibswert erscheinen, wandelbar und immer auch abhängig von den Augen des Betrachters. Jeder lebt in seiner ganz eigenen Version der Realität und solange diese relativ deckungsgleich zueinander sind, kommen wir alle zurecht.

In Texten muss die genaue Beschreibung zweckdienlich sein, ansonsten läuft der Autor Gefahr den Leser auf halber Strecke zu verlieren. Alles was beschrieben wird, erhält eine ganz eigene Wichtigkeit und der aufmerksame Leser erkennt durch diese schließlich die Subtexte hinter dem Hauptaugenmerk; andere Lesarten, ja ganz neue Geschichten tun sich auf…

Beschreibungen sollten immer dem Zweck dienen den Gegenüber in die eigene emotionale Welt zu führen; zumindest meiner Meinung nach. Denn man beschreibt, was einen bewegt – den Rest nimmt man nicht oder nur nebenher wahr.

Es wird also beschrieben, was bewegen soll, wenn nicht, bleibt nur die Blümchenkante und diese unterscheidet auch das Belanglose aneinanderreihen von Worten vom Text und den Smalltalk von der Unterhaltung.

Momentaufnahme

Lebe nur im Augenblick sagen sie…

Blicke nie zurück…

Träume nicht nach vorn…

Alles was Bedeutung hat, ist der Moment!

Doch…

Betrachte ihn nicht von allen Seiten… du verschreckst ihn bloß

Halte dich nicht an ihm fest… er verblasst zwischen den Fingern

Teile den Moment mit anderen… so bleibt er im Gedächnis

zur Kunstsammlung Katze4

Es war einmal…

Ohne Poesie läßt sich nichts in der Welt wirken. Poesie aber ist Märchen. (J.W. Goethe)

Ich mochte unseren Familien-Weihnachtsbaum.

Wenn ich angestrengt nachdenke, erinnere ich mich sogar an die Zeit, da dieser nicht künstlich war. Da er echte Nadeln abwurf nach den Feiertagen und da es richtige Kerzen waren, die mein Kinderherz erwärmten. … An einen natürlichen Geruch nach Wald, fast modrig und doch einladend, kann ich mich nicht entsinnen, aber sicher gab es diesen.

Der Baum war geschmückt mit Glaskugeln, ob die Holzfiguren und das Lametta noch zur Zeit des echten Baumes gehörten, weiß ich nicht, aber die Kugeln aus Glas, welche zu leicht zerbrachen, erinnere ich…

Als die Zeit ins Land zog und uns die Moderne erreichte, veränderte sich nicht nur das Fernsehprogramm sondern auch der Baum wurde künstlich und überladen; mit eben jenen Glaskugeln, Holzfiguren, silberner Lametta und einer Lichterkette, die keine Brandgefahr mehr darstellte. Der Standfuß wurde zusammengesteckt genau wie die zwei Hälften des Baumes und nach Ausrichten der Äste wurde dieser kleine, aber haltbare Baum stets am Heiligen Abend geschmückt und am Neujahrstag wieder in den Karton getan.

Ich mochte auch diesen Baum. Er stellte ein Sinnbild für das Vergehen dar, für die Veränderung um uns herum… so wurde ja schließlich aus den Glaskugeln mit der Zeit Plastik, aus Lametten eine Perlenkette und aus echten Kerzen Kunstlicht. Denn Plastik erschien nicht so zerbrechlich wie das Glas und die Familie, die nicht immer gemeinsam um den Baum herum sitzen konnte. Die Perlenkette hielt zusammen wie die Menschen, welche trotz der Realität, die auch zu Weihnachten einzug hielt, immer wieder zueinander fanden. Und das künstliche Licht, ähnlich der Feiernden, konnte nicht wie die Kerzen von einem stärkeren Windstoß erloschen werden oder gar den Baum und das Zuhause entzünden.

Zwangig Jahre hielt der Baum; auch wenn die Nadeln letztlich abzufallen begannen. Stets zeigte er sich unverändert und doch immer der Familienstimmung angepasst in einem anderen Kleid. Immer von Heiligabend bis zum Neujahrtag.