un_Erkannt (1)

Oh bitte erkenne nicht meine Schwächen…

Sieh nur nicht zu genau hin, denn dann wirst du sehen, wie mein Lächeln doch eher einer Grimasse gleicht. Wie ich lauthals lache, um nicht zu weinen unter deinem Blick. Wie ich stolz die Brust herausstrecke, damit du nicht ahnst, dass ich doch lieber zusammengekauert in der Ecke verweilen möchte. Wie ich renne, dass du das Hinken meines Ganges nicht bemerken kannst. Wie ich handle, wie ich stets dem Aktionismus verfallen, stets auf der Suche nach Neuem bin, damit du nicht merkst – damit niemand merkt – wie ich vor Angst fast erstarre, wie sehr mein Sein verklebt, mein Geist verdunkelt ist…

Wie ich hoffe auf Hoffnung. Wie ich mich sehne nach Sehnsucht. Wie ich vermisse das Vermissen.

Oh bitte erkenne nie meine Schwächen, sonst bin ich gezwungen diese selbst zu erkennen.

„Was soll das bedeuten?“, unterbrach ihre zittrige Stimme des Autors Reverie.

„Hm? … Sprach ich laut? Schon wieder laut?“

Des Autors Muse nickt diesem bloß hilflos zu.

„Das…“, so lächelt er sie herausfordernd an, „… ist der Beginn meines neuen Werkes.“

Sie schweigt ihm entgegen.

Der Autor ergreift, sich nun seinerseits hilflos fühlend, ihre linke Hand. Er spürt wie diese eiskalt ist und nur schlaff in der seinen liegt.

Minuten vergehen bis sich die Finger der Muse endlich mit den seinen verschränken. Bis die Kälte verfliegt. Bis sie, seine einzige Liebe, seine Geliebte, seine Muse, ihm letztlich fest in die Augen blickt mit so etwas wie Zuversicht, mit schon fast einem Lächeln.

„Nun gut. Wenn dem so ist. Dann auf zu einem neuen Werk.“, durchbricht sie die Stille, das Schweigen, die Anspannung, „Ein Auftragswerk? Nein. Ein Bedürfnis. Ich sehe es genau… Doch wo ist der Szenenaufbau? Die Regieanweisung, die all deinen Werken innewohnt? … Es muss doch schließlich erkannt werden, dass es Gemacht ist, dass es Fiktion ist im aristotelischen Sinne und dass die Art des Schreibens, des gesamten Textaufbaus auf sich selbst aufmerksam macht, ja machen will – ganz so, wie es heißt, dass man dadurch Literatur, dass man Kunst als solche erkennt…“

„Ich habe dich vermisst.“, entweicht es beinahe unhörbar des Autors spröden Lippen.

Und nun wieder Stille. Schwer. Durchsetzt von all dem Unausgesprochenen. Doch zugleich aufgeladen. Zum Bersten gespannt. Sich selbst im Klaren, dass jeden Moment etwas geschieht.

Zwischen den Szenen. Vor einem überladenen Schreibtisch unter fahlem Licht

Ein Mann mittleren Alters – ein Autor – die zu dünnen Finger verzahnt mit denen seiner Muse, führt diese schweigend zu einem schweren Tisch aus Metall. Einst war dieser aus Holz, doch die Zeit und sein Leben ließen ihn verhärten, erkalten, sich seiner Umgebung anpassen und beinahe die Gesamtheit des Raumes einnehmen.

Dieser Tisch – Sinnbild seines Seins, Platz seiner Arbeit, Fixpunkt seines Tuns – ist inzwischen verstaubt, ja fast klebrig, ist vergraben unter Notizen, unter Essensresten, unter halbgeleerten Gläsern, unter all seiner Verunsicherung.

Zu laut schweigend steht das Paar also da. Vor diesem exorbitanten Tisch mit all seinen übergroßen Erwartungen und überhäuft mit einer Überlast von Möglichkeiten, beinahe übermannt durch eine grellbunte Klarheit vom was sein sollte… könnte… wird.
Und mit einem Gefühl der Sicherheit, an die er selbst kaum mehr geglaubt hatte, lockert der Autor letztlich seinen zu festen Griff um die zarten Finger seiner Muse, seiner Geliebten, seiner Liebe.

Er will sie nicht zwingen bei ihm zu stehen. Denn er wünscht sich, dass sie ihm ungefragt beisteht.

Lange Sekunden und absichtlich tiefe Atemzüge ziehen vorüber und legen sich mit dem Staub über die Kälte des Schreibtischs… bis endlich die Finger seiner Liebe, seiner Geliebten, seiner Muse die seinen fest – nicht zu fest – umklammern.

Nur schwach, jedoch nicht zu schwach, beleuchtet vom Licht des angebrochenen Tages, das den Weg durch ungeputzte Scheiben kaum findet, stellen die beiden – die Muse, der Autor… die Stimme, der Stift – sich schließlich Hand in Hand das Chaos zu ordnen.

Fortsetzung folgt

 

Logo Katze Mathilde GläserDies ist als Fortsetzung von „im Entsehen begriffen“ und „im Selbst_Gespräch“ geplant.

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und wieder

ein dumpfes Pochen

ein Ziehen

ein Brennen

ein sich Ausbreiten

ein Schmerz, dem zu entkommen fast unmöglich scheint

 

ein Auftürmen

ein Dagegenhalten

ein Willensstark-sein-wollen

 

ein Atemzug, dann zwei

 

ein sich Fangen, sich Verfangen, ein Gefangensein

ein Lösen, sich Loslösen, sich Auflösen

 

noch ein Atemzug, dann drei

 

ein sich W i e d e r finden

 

w o l l e n

 

zur Kunstsammlung Katze4

vom Wandern, Warten und Davonlaufen

„Es gibt zwei Sorten von Ratten:/ Die hungrigen und die satten./ Die satten bleiben vergnügt zu Haus,/ Die hungrigen aber wandern aus.“ (H. Heine)

Für mich ist Wandern eine Form von Therapie… das stete Fortbewegen hat etwas Beruhigendes an sich; zumindest für mich.

Seit wann die Wanderung mehr als nur der bloße Wechsel der Position im weiten Raum, das Ergründen der näheren und weiteren Umgebung, das Betrachten – zuweilen sogar Bewundern – der Umwelt… der Welt um mich herum… bedeutet, kann ich nicht mehr sagen.

Die Frage nach dem wann stellt sich mir in diesem Zusammenhang auch nicht.

Was aber klar ist und besonders in letzter Zeit immer deutlicher wird… ich wandere, wenn ich warten muss.

Warten ohne Zutun, ohne Einfluss… ohne Ende.

Ein Gefühl von Abhängigkeit, Hilflosigkeit, Nutzlosigkeit… warten ist wie sich im Kreise drehen…

In diesem Zusammenhang stelle ich mir die Frage nach dem wann, dem seit wann und dem bis wann.

Zu oft weiß ich kaum mehr, worauf ich eigentlich warte… noch warte.

Doch in der ständigen Bewegung, dem Gefühl des Vorankommens, des Ankommens lässt sich die Warterei nicht nur ertragen, sondern ergründen… ich muss nur weit genug laufen und hoffen, nicht lediglich davon zu laufen.