Meine Oma hatte für fast jede Lebenssituation eine passende Redensart… und so wurde ich auch geprägt durch ihre Teilhabe an meiner Erziehung und wuchs auf unter ihren wachsamen Augen, mit dem Reglement von Herrn von Knigge, stets gepaart mit einprägsamen Floskeln und dem Hinweis langsam und laut zu sprechen – nicht dass mir dies je gelungen wäre; ich sprach stets zu schnell und zu leise, später oft zu laut, aber immer noch zu schnell…
Zog ich nun eine Schnute, da mir was nicht passte, hieß es also „Da ist die Zuckerpuppe von der Bauchtanztruppe…“
Ein Streit unter Geschwistern wurde mit „Ein Bruder und ’ne Schwester, nichts schön’res auf der Welt…“ kommentiert.
Hatte ich mich verletzt, so war es „bis zur Hochzeit wieder gut“.
Wollte ich einer Sache mit Argumentation entgehen, wurde ich daran erinnert „warum der Teufel seine Großmutter erschlagen hat“.
Geriet man in Zeitnot so sollte man „nur keine Hektik nicht vermeiden“ und außerdem „fangen morgen wieder Hundert Tage an“.
War ich für bestimmte Dinge noch zu jung, so durfte ich zwar „alles essen, aber nicht alles wissen“.
Am Tisch sitzend, wurde stets darauf geachtet, dass man „den Löffel zum Mund und nicht den Mund zum Löffel führt“.
und so weiter und so fort…
…
Da wir in einer Welt der Redewendungen zu leben schienen, sog ich diese natürlich nicht nur bei meiner Oma in mich auf.
Noch heute kann ich nicht anders handeln, als mit meinem Gegenüber mein Essen oder dergleichen zu teilen, denn die Schallplatte, die bei uns vermutlich auf Dauerschleife gelaufen sein muss, löste in mir fast schon einen pawlowschen Reflex aus, denn „teilen macht Spaß, wir teilen dies und das.“
Man kann sich natürlich streiten, wie viel Gewicht Floskeln in der eigenen Lebensführung einnehmen sollten und oft genug sind es sicher diese „formelhaften, leeren Redewendungen“, vor denen im Duden gewarnt wird. Doch wenn es darum geht, dass allgemeine Miteinander nach der Prämisse des „behandle andere so, wie auch du behandelt werden willst“ zu gestalten und sich auch durch schwieriger Zeiten nicht unterkriegen zu lassen, denn „am Ende wird alles gut und wenn es noch nicht gut ist, so ist es noch nicht zu ende.“ haben manche klugen Sprüche durchaus ihre Daseinsberechtigung.
Und wenn es nur darum geht unbequemen Fragen, wie die nach dem eigenen Wohlbefinden mit den Worten „wenn man das schlechte weglässt, geht’s mir gut“ zu umwandern, damit man sich auf die schönen Dinge konzentrieren kann, so wie Oma es letztendlich tat oder eben das Gespräch mit einer augenzwinkernden Aufforderung zur Tätigkeit zu beenden durch den Ausspruch „mach heute noch was, dann brauch ich es nicht zu tun.“
Eine Weisheit für jede passende und unpassende Gelegenheit liegt auch mir tagtäglich auf der Zunge und ich werfe ungefragt mit diesen um mich. Denn man sollte ruhig angesehenen Menschen mit ihren ebenso ansehenswerten Aussagen huldigen…
schließlich sagte schon Heine: „Weise erdenken neue Gedanken, und Narren verbreiten sie.“