Prolog
Wie so oft in diesen Wochen saß T. auf dem Fußboden ihres Einzimmerappartements, im Wohnbereichsteil wohlbemerkt; nicht zu verwechseln mit dem Büro-, dem Flur- oder dem Küchenabteil. Für sie war es von enormer Wichtigkeit dies zu trennen, obgleich es nur im übertragenen Sinne möglich war, da sie sich nie die Mühe gemacht hatte ihre Wohnung tatsächlich zu untergliedern. Wäre das Badezimmer nicht von Bau-wegen her in einem Extraraum untergebracht, sie wusste nicht, ob sie sich daran gestört hätte – die metaphorischen Wände genügten ihr.
Statt eines Esstischs begnügte sich T. mit ihrem Bürostuhl (Kleiderharken, Klavierschemel, Nachttisch) als Ablage für den Kaffee und die Morgenzeitung. Nicht, dass sie keine andere Wahl gehabt oder sich aus einem moralischen Grund, wie der Abneigung unnützem Eigentums gegenüber, für diesen Minimalismus entschieden hätte, sie empfand sich lediglich als sehr pragmatisch und sah keinen nahliegenden Grund darin Möbel zu besitzen, die austauschbar waren in deren Zweckmäßigkeit .
Zum wiederholten Male blickte T. auf die Wanduhr; bereits Zehn nach Sechs. Auch ihr Mobiltelefon bestätigte das und nachdem sie ihre Armbanduhr gestellt hatte, stimmte auch diese zu. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit, um sich auf den Unterricht vorzubereiten; sich mental darauf einzustellen unter Menschen zu sein… wäre es nach ihr gegangen, sie hätte auf die Umschulung verzichtet. Was sollte das Alles auch? Für sie machte es keinen Unterschied, welchem Beruf sie nicht nachging. Doch ihre Großmutter hatte ihr das Versprechen abgenommen letztlich doch noch „Etwas“ aus sich zu machen.
Doch was sollte das eigentlich bedeuten? „Etwas“ aus sich machen. Wer würde das beurteilen können? Wie würde die Welt aussehen, wenn alle sechs bis sieben Milliarden Menschen etwas leisten könnten, was für die Welt von Bedeutung ist? Es gäbe nichts mehr von Bedeutung, wäre alles von Bedeutung.
Und das wäre tragisch!
Zu ihrem Unmut stand T. mit ihrer Meinung allein da auf weiter Flur. Sie störte sich nicht daran, nicht ernsthaft, denn sie war davon überzeugt, dass die meisten ihrer Mitmenschen überhaupt nicht dazu in der Lage waren solche Zusammenhänge zu verstehen; zu sehr lebten sie unter dem Einfluss des Erlernten, nach den über Generationen weitergetragenen Lebensregeln, nach dem was im Allgemeinen erwartet wurde. Selbst die Menschen, welche sich lauthals gegen jede Norm aussprachen, konnten das Vorgeprägte doch nie wirklich abschütteln und wenn es sich nur darin ausdrückte, dass jede ihrer Handlungen im direkten Gegensatz dazu stand, was für T. auch nur bewies, dass ein tatsächlicher innerer Abstand wohl fehlte.
Den Kopf an die Sofakante gelehnt, sann T. ihren Gedanken nach, vergessen war der Kaffee und die Zeit. Für einen kurzen Moment wurde sie gewahr, dass ihr Misstrauen und ihre Ungeduld anderen gegenüber unweigerlich dazu führte, dass es in absehbarer Zeit nicht mehr notwendig sein würde irgendjemandem irgendetwas zu erläutern.
Sie wäre allein – wahrscheinlich war sie es schon längst; ein Gedankengang, dem sie nie allzu weit folgen wollte, sich aber immer häufiger dabei ertappte. Langsam und hörbar ausatmend, mit zusammengekniffenen Augen schob sie das leidige Thema beiseite. T. griff nach ihrem Kaffee und verzog das Gesicht. Lauwarm.
Es wurde Zeit loszuziehen, dass, wenn sie schon nicht „etwas“ aus sich machen konnte, sie doch zumindest irgendetwas tat.
Akt 1
Szene 1
„Wie war dein Tag?“ Ein kurzes Achselzucken war alles was T. ihrer Großmutter als Antwort gab, bevor sie sich eine Tasse Kaffee aufbrühte. „Hast du etwas Interessantes lernen können?“ Darauf entgegnete sie mit einem kurzen Schnauferl durch die Nase, während sie im Schneidersitz auf dem Teppich platznahm. „Ach, jetzt sei nicht so. Du weißt genau, dass ich es nicht gutheißen kann, wenn du dich so zurückziehst!“ „Ich ziehe mich nicht zurück! Es gibt lediglich nichts von Bedeutung zu erzählen.“ „Dann eben etwas ohne Bedeutung.“ Das leichte Schmunzeln unterwanderte den inzwischen recht brüsken Tonfall und T. konnte nur grinsend den Kopf schütteln. Wie gerne würde sie ihrer Großmutter von mitreißenden Unterrichtsstunden und fesselnden Gesprächen berichten, doch alles was T. während der Schulungen zustande brachte, waren zynische Einwürfe, um die Antworten der Anderen, wenn nötig, zu verbessern und Staring Contests mit den Dozenten. „Ich habe meinen leeren Blick verbessern können und mich mit dem Dozierenden übers Wetter unterhalten – es wird wohl wieder wärmer.“ „Das Wetter wird wieder angenehmer?! Na da weißt du zumindest schon mehr als ich.“